Muchos Alemanes!

„Ich habe in Playa de Aro einen Hoteldirektor erlebt, der morgens mit ausgebreiteten Armen in den Speisesaal geschritten kam und mit dem Ruf  >>Muchos Alemanes!<< die frühstückenden deutschen Gäste einen nach dem anderen zu umarmen begann. Um genau zu sein: Nur die Damen wurden umarmt, die Herren erhielten einen Klaps auf den Rücken.“

– Bernhard Schulz (Picknick am Mittelmeer)

Ein Gegengewicht der Ruhe

„Überdies ich bin kein fleißiger Arbeiter. Ich bin es absolut nicht, ja mir liegt der Gedanke fern, daß Schreiben eine Arbeit ist, und schon der bloße Verdacht würde es mir verleiden. Arbeit ist Dinge tun, die man nicht gern tut; und diese Erfahrung habe ich zwanzig Jahre lang gemacht, während das Schreiben für mich ein Gegengewicht der Ruhe und der Freude für mich war. <<Ich tue nichts ohne Freude>>, sagt Montaigne, und seine Essays sind das heiterste Buch, da je geschrieben worden ist. Auch wenn die Dinge, über die man schreibt, bitter, schmerzhaft und beängstigend sind, ist das Schreiben immer eine Freude, stets ein <<Zustand der Gnade>>. Oder man ist ein schlechter Schriftsteller. Und nicht nur Gott weiß, ob es die gibt und wie viele, auch die Leser wissen es.“

– Leonardo Sciascia (Das Hexengericht)

Astypalaia vergangenes Jahr

Find the English version of this text here.

Astypalaia war dieses Mal etwas anders. Einen Monat vor unserer Ankunft war mein Freund Nikolas verstorben, was wir noch nicht wussten, als sein Sohn uns vom Hafen abholte. Auf dem Weg nach Livadi, während wir die kurvenreiche Hauptstraße hinauffuhren, erzählte er uns, dass Nikolas in einem Krankenhaus in Athen gestorben und nun Geschichte war. Ich kannte Nikolas seit 1995, als ich zum ersten Mal auf die Insel kam. Er wartete neben seinem blauen, ramponierten alten Dreirad-Motorroller auf Touristen, die von der Fähre kamen, und lud uns zu sich nach Livadi ein, wo er rooms vermietete. Ich war ein Novize in Griechenland und misstrauisch. Konnte man diesem Mann vertrauen? Aber nach der Hitze, der furchtbar harten Erde und dem Lärm des Campingplatzes auf Kos (der inzwischen nicht mehr existiert) klang ein Zimmer für nicht viel mehr Geld sehr verlockend. Obwohl er nur die Rucksäcke mitnehmen konnte. Es war auf dem Dreirad kein Platz für uns, wir mussten zu Fuß gehen, zuerst hinauf nach Chora, dann wieder hinunter nach Livadi. Ganz einfach, nicht weit. Ja, Nikolas, und für verwöhnte deutsche Beine auch sehr steil, aber du hattest Recht, mein Freund, ich war 23 Jahre alt, warum sollte ich nicht ein bisschen laufen? Die armen Griechen mussten viele Male, viele Jahrhunderte lang, die steilen, heißen, trockenen Hügel hinauf-, hinabsteigen und schuften. Jetzt bin ich über 50 und sollte viel mehr zu Fuß gehen, wenn ich so lange leben will wie Nikolas. Wie auch immer, wir kamen nach Anixi. Natürlich waren alle noch sehr traurig. Vor allem die Tochter. Ihre Trauer machte mich auch traurig. Ich fühlte mich schuldig, dass ich Astypalaia in den letzten 30 Jahren nicht öfter besucht hatte, obwohl dies mein 14. Besuch war, weit mehr als jede anderen Insel, und dass ich nicht öfters mit Nikolas gesprochen hatte. Aber manchmal war es auch schön, neben ihm zu sitzen und einen süßen heißen Kaffee zu trinken. Er war so ein liebenswerter Mann, ein echter Xenophilos. Dennoch konnte er streng sein. Ich glaube nicht, dass er mein Trinken und Rauchen guthieß, da er selbst nichts dergleichen tat, aber andererseits sagte er immer: Du hast Urlaub, genieße ihn. Und dann fühlte ich mich ein bisschen schlecht, weil er wahrscheinlich dachte, ich würde zu Hause genauso viel arbeiten wie er, was ich bezweifle. Nikolas, mein Freund …

Livadi mit seinem Strand, seinen Tavernen und zwei Supermärkten ist immer mein Lieblingsort auf Astypalaia. Und wenn man nach anstrengenden Stunden mit Lesen am Strand, Schwimmen und Schnorcheln durch das gewundene trockene Flussbett zurückkehrt, etwa zehn Minuten zu Fuß, nach Anixi, dann ist das wahrscheinlich eines der schönsten Gefühle und Orte, die man in dieser unvollkommenen Welt finden kann: die träge Müdigkeit der von Sonne und Meer geküssten Glieder, die Plastiktüten voller Getränke und Käse und Chips und anderen guten Dingen, die die Tüte nach unten ziehen, dass die Plastikstränge sich in die Finger drücken, die Vorfreude auf Dusche und Ruhe… Natürlich bin ich heute etwas dicker und älter, und die schlauen jungen Männer vom Supermarkt bringen die schweren Sachen und das Wasser mit ihren Motorrädern. How long you stay? How are you? Astypalaia always good. Cheese from the island? Only in spring, my friend.


Mein zweitliebster Strand ist wohl Agios Konstantinos, etwa
anderthalb Stunden Fußmarsch von Livadi entfernt. Zuerst geht es bergauf, dann entlang des Plateaus, wo es tatsächlich ein paar Felder und auch Ziegen und Honigbienen gibt, mit fantastischem Blick auf Chora und das Castro, und dann hinunter ins Tal. In einem alten Reiseführer steht etwas von Granatapfelbäumen, aber ich habe noch nie welche gesehen. Es gibt eine kleine, sehr freundliche Taverne, jetzt auch eine Strandbar (vielleicht schade, ja, aber wir müssen mit der Zeit gehen, Oldtimer, nicht wahr?), Tamarisken und die Kirche von Konstantinos. Am Strand kann es ziemlich windig sein, aber man kann dort gut schnorcheln. Bringen Sie Strandschuhe mit, denn es gibt Kieselsteine und größere Steine.


Jedes Mal, wenn ich nach Astypalaia fahre, muss ich zum Castro hinaufsteigen, der alten Festung der Familie Querini aus Venedig, die die Insel regierte von … wen interessiert das schon. Es ist ziemlich anstrengend und atemraubend, noch bevor man die atemberaubende Aussicht genießt, durch die verwinkelten Gassen von Chora mit ihren weißen kubischen Häusern hinaufzusteigen. Ich suche immer nach einem Haus, das mir gefällt, und sage mir: Das werde ich kaufen. Vielleicht nächstes Jahr. Man geht durch das dicke, weiß getünchte Tor in den Castro, wo seit 1995 nicht viel in Sachen Erneuerung und Renovierung passiert ist. Vielleicht sind es die Geister, die seit dem großen Erdbeben in den 50er Jahren an diesem Ort spuken sollen, als die Leute die kleinen Häuser im Castro verließen, um nach Skala (Treppe) und Limani (Hafen) zu ziehen. In Chora gibt es ein kleines, hübsches Kafeneion mit einem sehr windigen Balkon, das jetzt von jungen Leuten übernommen wurde, die alles besser wissen, mit ihren ausgefallenen Rühreiern und Kaffees, wo man früher eine Flasche Retsina und dazu einen kleinen Teller mit sauren Apfelstücken bekam, köstlich. Ich schätze, ich werde mich daran gewöhnen müssen. Und ich bin nicht traurig, denn ich bin mir sicher, dass einige Dinge und Gefühle und Götter in Griechenland niemals sterben werden.

Das beste Restaurant in Livadi: To Gerani (der Garten), der beste Supermarkt: beide sind gut, die beste Unterkunft: To Anixi (der Frühling), natürlich.

Astypalaia last September

Hier geht es zur deutschen Fassung.

Astypalaia was a bit different this time, one month before we came to visit my friend Nikolas had died, which we didn’t know when his son came to pick us up from the harbour. He told us on the way to Livadi, while we were driving up, up, up the winding main road, that Nikolas had died in hospital in Athens and was now history. I had know Nikolas since 1995, when I first came to visit the island. He was waiting beside his blue, beaten up old motor-tricycle for tourists to come off the ferry, inviting us to his place, rooms, in Livadi. I was a novice to Greece and suspicious. Could this man be trusted? But after the heat and the terribly hard earth and the noise of the camping ground on Kos (now defunct), a room for not much more money sounded very appealing. Even though he could only take the backpacks, there wasn’t room for us on the tricycle, we had to walk, first up to Chora, then down again to Livadi. Very easy, not far. Yes, Nikolas, and very steep too, for pampered German legs, but you were right my friend, I was 23 years old, why shouldn’t I walk a bit. The poor Greeks had to walk and work the steep hot dry hills for many times, many centuries. Now I am past 50 and should walk a lot more, if I want to live as long as Nikolas had done. Anyway, we came to Anixi. Of course everyone was still very sad. Especially their daughter. Their grief made me sad too. I felt guilty, that I hadn’t visited Astypalaia more in the last 30 years, although this was my 14th visit, far more than to any other island, and that I hadn’t talked more to Nikolas. But sometimes sitting beside him and drinking a sweet hot coffee was also nice. He was such a lovely man, a true Xenophilos. Yet he could be strict. I don’t think he approved of my drinking and smoking, doing nothing like that himself, on the other hand he always said, it’s your holiday, enjoy. And then I felt a bit bad, because he probably thought I worked as much as he did at home, which I doubt. Nikolas, my friend…

Livadi with its beach and tavernas and two supermarkets is always my favourite place on Astypalaia. And when, after hard hours reading on the beach and swimming and snorkelling, you return through the meandering dry riverbed, about a ten minute walk, to Anixi, that is probably one of the nicest feelings and places you can get to in this imperfect world, the languid tiredness of the sun and sea kissed limbs, the plastic bags full of drinks and cheese and crisps and other good things pulling down, the anticipation of shower and rest… of course nowadays, that I am a bit heavier and old, the smart young men from the supermarket bring the heavy stuff and water with their motorbikes. How long you stay? How are you? Astypalaia always good. Cheese from the island? Only in spring, my friend.

I guess my second favourite beach is Agios Konstantinos, about a hot one and a half hour walk from Livadi. First you go up up up, then along the plateau, where there are actually a few fields and also goats and honey bees, fantastic views of Chora and the Castro, and then down into the valley. An old guide book says pomegranate tree, but I’ve never seen any. There is a small, very friendly tavern, also a beach bar now (a shame perhaps, yes, but we have to move with the times, old timer, don’t we?), tamarisks and Konstantinos’ church. The beach can be quite windy, great snorkelling though, bring beach shoes, it is pebbles and bigger stones.

Every time I go to Astypalaia I have to go up to the Castro, the old fortification of the Querini family from Venice who ruled the island from… who really cares. It is quite a bit sweat inducing and leaving you breathless, even before the stunning views, to climb up through the winding streets of Chora and its white cubic houses. I always look for one house I like and say, I am going to buy it. Next year maybe. You walk through the thick and whitened gate into the Castro where there is not much happening in the way of proposed renewal and renovation since 1995. Maybe it’s the ghosts who are supposed to haunt the place since the big earth quake in the 50s when folks left the small houses inside the Castro to move down to Skala (Stairs) and Limani (harbour). In Chora there is a small and pretty kafeneion with a very windy balcony, taken over now by young people who know everything better, with their fancy scrambled eggs and coffees, where before you got a bottle of retsina and with it a small plate with sour apple chunks, delicious. I guess I will have to get used to it. And I am not sad, because I am sure some things and feelings and gods in Greece will never die.

Best restaurant in Livadi: To Gerani (the garden), best supermarket: both are good, best place to stay: To Anixi (the spring), of course.

Letztes Jahr auf Nisyros

Letzten September war ich das erste Mal auf der Insel Nisyros, an der ich schon oft mit der Fähre von oder nach Rhodos schnöde vorbeigefahren bin. Aber jetzt waren wir so weit, auch weil die Insel ja von so einigen gelobt und geliebt wird. Zurecht, ich mochte sie. Wir hatten eine kleine zum Studio umgebaute Hütte oberhalb des Hauptstädtchens Mandraki gemietet. Sie lag wirklich ziemlich abgelegen in einem Feld und so gab es ein bisschen Streit wegen meiner Wahl, denn die Hütte war heiß, es gab nur einen Ventilator, zwar einen Luftzug dann und wann, doch viele Mücken. Ich hatte in Griechenland noch nie so viele Mücken. Das Autan habe ich nicht versprüht, sondern einfach so über den Kopf geschüttet. Die Aussicht auf Limani und Mandraki war jedoch phantastisch.

Falls ich nochmals nach Nisyros komme, was Zeus geben mag, werde ich aber im Fischerdörfchen Paloi unterkommen, da muss man das Wasser nicht in Schweißbächen den Berg hochschleppen, da gibt es einen schönen gemütlichen Strand, wo die Omis bis zum Bauch im Wasser stehend plaudern, da gibt es leckeren Fisch in den Tavernen und einen Ouzo-Laden und die beste Bäckerei der Insel. Es sind da noch einsamere und mehr pittoreske Strände auf Nisyros, vielleicht, doch sind die weit und heiß und voller Hippies (Pachia Ammos). Nein, Paloi hat mir am besten gefallen, es fährt dahin ein kostenloser Bus von Mandraki öfters am Tag. Und da stehen auch die imposanten Ruinen eines gescheiterten Badebetriebes und Reste eines römischen Bades, darin nun eine Kapelle.

Mandraki selbst ist ruhig und gemütlich, wenn nicht gerade die Vulkan-Tagesausflügler von Kos ausschwärmen, hat nette Tavernen und viele Katzen. Der Vulkan ist natürlich die größte Sehenswürdigkeit, im Krater ist es schön warm, dampft und stinkt nach Schwefel. Ich war zu faul ins letzte Loch hinabzusteigen. Im netten Bergdörfchen Nikiá hat es ein Vulkan-Museumchen und gleich zwei Kafeneia an der winzigen Dorfplatia. Dahin zu kommen haben wir uns nämlich doch ein Auto gemietet, am Hafen, fragt nach Popi. Im Hafen sieht man gegen 15 Uhr die 150 Tagesausflügler zurück zu ihren drei Booten hasten, die dann am Horizont Richtung Kos verschwinden, und es gibt wieder Ruhe und viel Platz in den kleinen Läden, die Zimt- und Mandelsirup, Raki und echten Bimsstein verkaufen, der aber sowieso an allen Stränden, so wie neben der Serpentine hinab zur Badegelegenheit Avlaki, ehemals Hafen des Dörfleins Nikiá, wo im Schatten der Oliven ein paar Kühe stehen, in großen und kleinen Brocken zu finden ist. Schön sind die schwarzen, vom Meer rund und glatt geriebenen Bimssteinchen von Paloi.

Wenn es Nisyros nicht unter die fünf oder sieben liebsten Inseln geschafft hat, dann weil es doch zu wenig nette Strände gibt, die vielen Restaurants und Tavernen und Bars nur wegen der Ausflügler existieren, hingegen die Lebensmittelläden sind winzig und karg bestückt, man spürt ein gewisses Ungleichgewicht, der Vulkan ist übermächtig. Ohne Auto ist man etwas aufgeschmissen, das ist schade. Und ich finde, die Insel ist zu nah an Kos, nachts der Blick auf die nahen Lichter und die blinkenden Windturbinen der Türkei, war mir nicht insel-einsam genug. Dies gesagt, ich werde gerne wiederkommen, es gibt noch einiges zu sehen und manches wiederzuerleben.

Sven Hedin über Berlin

„Will er über die Straßen gehen, die wie Pulsadern alle Teile Berlins durchkreuzen, so muss er sich vorsehen; sonst kann er leicht von einem dahinsausenden Automobil oder einer elektrischen Straßenbahn überfahren werden. Es wimmelt von Fuhrwerken der erdenklichsten Art. Aber die Automobile beginnen schon alle anderen zu überflügeln, und die Droschken fristen nur noch ein kümmerliches Dasein. Zwischen den schnellen, mit Elektrizität oder Benzin getriebenen Wagen trotten schwerfällige Omnibuspferde langsam dahin und kreuzen zwischen den kutschierenden und steuernden Menschen, die es alle so schrecklich eilig haben. Scheint es doch, als ob das Wohl und Wehe der Welt vom rechtzeitigen Ankommen jedes Einzelnen abhinge!“

– Sven Hedin (Von Pol zu Pol, Leipzig 1913)